Pressemitteilung 2019/188 vom

Heute Abend (20. September) startet der deutsche Eisbrecher „Polarstern“ zur MOSAiC-Expedition und nimmt vom norwegischen Tromsø aus Kurs auf die zentrale Arktis, wo er sich vom ewigen Eis einschließen lassen wird. An Bord erforschen Wissenschaftler eine im Winter nahezu unerreichbare Region, die entscheidend für das globale Klima ist. Sie sammeln dringend benötigte Daten zur Wechselwirkung zwischen Atmosphäre, Ozean und Meereis sowie zum polaren Ökosystem in der Region um den Nordpol. Dank der Zusammenarbeit internationaler Experten hebt die einjährige Eisdrift die Klimaforschung auf ein neues Niveau. Mit dabei sind auch Forschende aus Sachsen. Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung und die Universität Leipzig beteiligen sich an den Untersuchungen, um zu erforschen, weshalb sich die Atmosphäre in der Arktis deutlich stärker erwärmt als in anderen Regionen der Erde.

MOSAiC steht für „Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate“ – also für ein interdisziplinäres Observatorium, das durch die Arktis driftet. Parallel zu den Untersuchungen der „Polarstern“ in der zentralen Arktis wird eine Vielzahl an Messungen ringsherum stattfinden. So wird es unter anderem im Frühjahr und Sommer 2020 Flugzeugmessungen mit der „Polar 5“ von Spitzbergen aus geben, die durch Meteorologen der Universität Leipzig koordiniert werden.

„Wir wollen dabei bis in die Region der Polarstern vordringen, um den Energieaustausch zwischen Arktis und Nordatlantik zu untersuchen, also warme Luftmassen, die aus dem Süden in die zentrale Arktis gelangen, beziehungsweise kalte Luftmassen, die den umgekehrten Weg gehen. Da sich die Polarstern am Anfang noch sehr weit im Norden befindet, wird dazu womöglich ein Zwischenstopp an der Forschungsstation Villum auf Grönland nötig sein“, berichtet Dr. André Ehrlich von der Universität Leipzig.

„Während der gesamten Dauer der MOSAiC-Expedition werden atmosphärische Partikel auf Filtern gesammelt, was sowohl auf der Polarstern, als auch an der Forschungsstation Villum auf Grönland geschehen wird, letzteres in Kooperation mit der dänischen Universität Aarhus. An der Forschungsstation Villum werden außerdem kontinuierliche Wolkenkondensationskern- und Partikelgrößenverteilungsmessungen durchgeführt“, erläutert Dr. Frank Stratmann vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS).

Zusätzlich werden Proben des Meerwassers von der Polarstern aus genommen. Alle diese Proben werden anschließend am TROPOS im Labor analysiert, um die chemische Zusammensetzung der Partikel und auch die Eiskeime, die im Wasser und in der Luft zu finden waren, zu untersuchen. Ziel ist es, mehr über die Rolle des arktischen Meeres als Quelle für atmosphärische Partikel zu erfahren.

Leipziger Expertise zur Wolkenforschung an Bord

TROPOS und das Institut für Meteorologie der Universität Leipzig werden sich federführend an zwei zentralen Messungen der MOSAiC-Kampagne beteiligen, die die Atmosphäre der Arktis untersuchen: Zum einen wird der OCEANET-Fernerkundungscontainer während der gesamten Expedition rund um die Uhr arbeiten, um die vertikale Aerosol- und Wolkenverteilung der zentralen Arktis sowie deren Strahlungswirkung erstmals mittels Lidar, Radar, Mikrowellen- und Strahlungsflussradiometern ein Jahr lang kontinuierlich zu erforschen. Zum anderen wird ein 90 Kubikmeter großer Fesselballon im Frühjahr 2020 mehrere Messsysteme bis in 1.500 Meter Höhe bringen, um die bodennahen Luftschichten möglichst genau auszumessen.

Daneben werden Untersuchungen zum Oberflächenfilm auf dem Meer und den Schmelztümpeln vorgenommen, um mehr über die Austauschprozesse zwischen Wasser und Atmosphäre zu erfahren. Im Mittelpunkt stehen dabei atmosphärenrelevante organischen Substanzen, die die Wolkenbildung beeinflussen.

TROPOS ist außerdem in die Fahrtleitung des Expeditionsabschnitts 5 im Juni/Juli 2020 eingebunden: Fahrtleiter dieses Abschnitts wird unter anderem TROPOS-Direktor Prof. Dr. Andreas Macke sein. „Wie Aerosole und Wolken  in der Arktis während der Polarnacht interagieren, ist noch weitgehend unbekannt, weil bisher niemand dort über längere Zeit kontinuierlich messen konnte. Unsere Fernerkundungsgeräte werden helfen, diese Wissenslücken zu schließen. MOSAiC wird daher auch für uns Aerosol- und Wolkenforschende eine sehr spannende Expedition werden“, sagt Macke.

Die Arktis als Hotspot des Klimawandels 

Kaum eine Region hat sich in den vergangenen Jahrzehnten so stark erwärmt wie die Arktis. Seit 2016 untersucht der Sonderforschungsbereich/Transregio 172 „Arktische Klimaveränderungen“ unter Leitung der Universität Leipzig, welche Rolle Wolken und die damit verbundenen Prozesse in der Atmosphäre dabei spielen. „Unser Ziel ist es, die Schlüsselprozesse unter den komplexen Rückkopplungsmechanismen herausfinden. Dazu haben wir uns bisher auf die Prozesse in der Atmosphäre und ihre Wechselwirkung mit dem Meereis konzentriert. Die MOSAiC-Expedition bietet nun die Gelegenheit, den Bogen zu den Prozessen im Ozean und in den Ökosystemen zu schlagen. Wir freuen uns, dass wir unsere Expertise zur Atmosphäre der Arktis in das Konsortium aus weltweit führenden Polarforschungsinstituten einbringen können“, betont Prof. Manfred Wendisch, Direktor des Instituts für Meteorologie der Universität Leipzig und Sprecher des Sonderforschungsbereiches der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Eine Expedition der Superlative

Bisher fehlen ganzjährige Beobachtungen aus dem eisbedeckten Nordpolarmeer. Die MOSAiC-Expedition bringt nun zum ersten Mal einen modernen Forschungseisbrecher für ein ganzes Jahr in eine Region, aus der es kaum Beobachtungsdaten gibt. Die Drift des im Meereis eingefrorenen Eisbrechers Polarstern ermöglicht Wissenschaftlern auch im arktischen Winter Forschung in der Nähe des Nordpols. Die Klimaprozesse dort sind ein Puzzleteil, das fehlt, um bessere Prognosen zum globalen Klimawandel zu erstellen. Die Anzeichen verdichten sich, dass die starke Erwärmung in der Arktis enorme Auswirkungen auf die gemäßigten Breiten und damit auch auf das Klima in Europa hat.

Um alle Forschungsschwerpunkte ein Jahr lang untersuchen zu können, ist ein enormer logistischer Aufwand nötig: Die MOSAiC-Expedition unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), ist verbunden mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Eine internationale Flotte von vier Eisbrechern, Helikoptern und Flugzeugen versorgt das Team auf dieser extremen Route. Insgesamt 600 internationale Teilnehmer, davon die Hälfte Wissenschaftler, werden die Mission begleiten. Das Budget der Expedition beträgt rund 140 Millionen Euro. Im Laufe des Jahres werden rund 300 Wissenschaftler aus 17 Ländern an Bord sein.

Die Fragen, denen die Forscher während der Expedition nachgehen wollen, sind eng miteinander verknüpft. Zusammen wollen sie zum ersten Mal das gesamte Klimasystem in der Zentralarktis erforschen. Sie erheben Daten in den fünf Teilbereichen Atmosphäre, Meereis, Ozean, Ökosystem und Biogeochemie, um die Wechselwirkungen zu verstehen, die das arktische Klima und das Leben im Nordpolarmeer prägen.

„Diese Expedition ist bahnbrechend. Niemals zuvor gab es eine derart komplexe Arktisexpedition. Erstmals werden wir die Klimaprozesse der Zentralarktis im Winter vermessen können. Die Arktis ist die Wetterküche für unser Wetter in Europa. Extremwetterlagen wie winterliche Ausbrüche arktischer Kaltluft bis zu uns oder extrem heiße Phasen im Sommer hängen mit den Veränderungen der Arktis zusammen“, erklärt Expeditionsleiter Prof. Markus Rex vom Alfred-Wegener-Institut (AWI).

Die Expedition zum Miterleben für alle
Neuigkeiten direkt aus der Arktis gibt es über die MOSAiC-Kanäle auf Twitter (@MOSAiCArctic) und Instagram (@mosaic_expedition) über die Hashtags #MOSAiCexpedition, #Arctic und #icedrift. Weitere Informationen zur Expedition gibt es im Internet unter www.mosaic-expedition.org. In der MOSAiC-Web-App kann die Driftroute der Polarstern zudem live mitverfolgt werden.