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Hunderte internationale Forschende werten derzeit die Beobachtungen der MOSAiC-Expedition aus, während der sie hunderte Umweltparameter in nie dagewesener Genauigkeit und Frequenz über einen vollen Jahreszyklus im zentralen Arktischen Ozean erfassten. Jetzt haben sie in drei Übersichtsartikeln die physikalischen Eigenschaften von Atmosphäre, Schnee und Meereis sowie Ozean in der Fachzeitschrift Elementa veröffentlicht und die Bedeutung der gemeinsamen Betrachtung aller Komponenten des Klimasystems herausgestellt. Diese Ergebnisse liefern erstmals ein interdisziplinäres Bild der Klimaprozesse in der zentralen Arktis, die sich mehr als doppelt so schnell erwärmt wie der Rest des Planeten – Prozesse, die Wetter und Klima weltweit beeinflussen.

Die Fragen nach der Zukunft der Arktis und wie sich diese Klimaveränderungen global auswirken, waren der Antrieb für die historische MOSAiC-Expedition mit dem deutschen Forschungsschiff Polarstern von September 2019 bis Oktober 2020. Rund zehn Jahre hatten Forscher:innen von Institutionen aus 20 Ländern die Expedition vorbereitet, deren Gesamtkosten etwa 150 Millionen Euro betrug, die größtenteils vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wurden. Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Verbundprojekt zu Arktischen Klimaänderungen (AC)³ hat dabei einen weiteren gewichtigen deutschen Beitrag geliefert. Mit den jetzt vorgestellten Ergebnissen der drei MOSAiC-Teams Atmosphäre (ATMOS), Physikalische Ozeanographie (OCEAN) sowie Schnee und Meereis (ICE) erstellen die Forscher:innen das vollständigste auf Beobachtungen basierende Bild der Klimaprozesse in der Arktis, wo die Oberflächentemperatur der Luft seit den 1970er-Jahren mehr als doppelt so schnell gestiegen ist wie auf dem Rest des Planeten. Die Prozesse ein volles Jahr lang studieren zu können, erforderte ein besonderes Konzept, denn der zentrale Arktische Ozean ist im Winter nach wie vor eisbedeckt und daher schwer erreichbar. Daher ließ sich der Eisbrecher an einer großen Scholle festfrieren und trieb mit der natürlichen Transpolardrift durch das Nordpolarmeer – schneller als erwartet.

Eine der Ursachen für die schnelle Drift liefert jetzt die Analyse des Atmosphären-Forschungsteams: „In Oberflächennähe herrschten in den Wintermonaten besonders niedrige Temperaturen und damit verbunden anhaltend starke Winde, die die Eisdrift verstärkten und Polarstern somit schneller als erwartet vorantrieben. Großräumige atmosphärische Druck- und Windmuster in den Monaten Januar bis März führten zu einem besonders starken Polarwirbel um die Arktis, zusätzlich zu einem Rekord-Ozonloch in der arktischen Stratosphäre“, erklärt Dr. Matthew Shupe, Atmosphärenforscher am CIRES der Universität Colorado und NOAA sowie Co-Leiter des Atmosphären-Teams.  

Im Rahmen des Atmosphärenprogramms wurden durch das internationale Team zahlreiche Beobachtungserfolge erzielt, die ein Novum in der zentralen Arktis sind. Zum Beispiel: Durchgehende Beobachtungen mit Lidar und Radar; jährliche Zyklen der Konzentrationen von Eiskeimpartikeln, der Oberflächenflüsse klimaaktiver Spurengase, der Aerosolchemie und -mikrophysik oder zeitlich hoch aufgelöste Luftfeuchtigkeitsprofile über dem Meereis. Forschende aus Leipzig vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (TROPOS) und der Universität Leipzig haben an diesen Erfolgen entscheidenden Anteil. Während MOSAiC entstand erstmals ein zusammenhängender, vertikal aufgelöster Blick auf Aerosole, Wolken und Wasserdampf in der zentralen Arktis bis in 30 Kilometern Höhe. Dafür hatte ein Mehrwellenlängen-Lidar des TROPOS die Luftschichten von Bord des Forschungseisbrechers aus gemessen. In 369 Tagen gingen dabei 640 Millionen Laserpulse in den Himmel und es kamen 112 Gigabyte Daten zusammen. „Wir konnten dabei erstmals Rauch aus Waldbränden in Sibirien beobachten, der selbst in der Polarnacht noch über der zentralen Arktis schwebte. Diese Beobachtung hat zu einer neuen Hypothese geführt: Es spricht viel dafür, dass Waldbrände zur Bildung von polaren Stratosphärenwolken (PSC) beitragen und damit zum Ozonloch. Die großen Waldbrände in Nordamerika, Sibirien oder Australien könnten also mitverantwortlich sein, dass sich in den letzten Jahren wieder große Ozonlöcher über den Polen gebildet haben. Sollte sich der Zusammenhang bestätigen, dann bekäme der Klimawandel eine weitere Dimension“, erklärt Prof. Andreas Macke, Direktor des TROPOS. Das Leibniz-Institut für Troposphärenforschung und die Universität Leipzig betrieben zusammen im Sommer den Fesselballon BELUGA auf der Eisscholle. Der Ballon füllte die Lücke zwischen Messungen am Boden und den oberen Schichten und lieferte dabei wichtige Daten zur besonders kritischen Bodenschicht, die deutlich zur Erwärmung der Arktis beiträgt. „Begleitende Flugzeugmessungen wurden gemeinsam mit dem AWI und weiteren Projektpartnern von Spitzbergen aus durchgeführt. Für einige Messfälle konnte damit gezeigt werden, dass es bei der Modellierung der Veränderung der Wolken auf ihrem Weg von der inneren Arktis – ausgehend von der Polarstern – in Richtung Süden bis nach Spitzbergen, wo die Flugzeugmessungen stattfanden, bisher erhebliche Probleme gibt“, erläutert Prof. Dr. Manfred Wendisch, Leiter des Instituts für Meteorologie der Universität Leipzig. Die gesammelten Daten werden jetzt helfen, das komplexe System der Arktis besser zu erfassen und die Klimamodelle deutlich zu verbessern. 

Die drei Übersichtsartikel dienen als Referenzen für eine Vielzahl von zukünftigen wissenschaftlichen Arbeiten. „Die physikalischen Beobachtungen sind die Grundlage für die Interpretation von biogeochemischen Kreisläufen und Ökosystemprozessen sowie für die gekoppelten Modelle, die wir nutzen, um noch mehr über Klima-Rückkopplungen und die globalen Auswirkungen des arktischen Wandels zu erfahren. Diese Veränderungen können Wetter und Klima weltweit beeinflussen“, sagt Prof. Markus Rex, Leiter von MOSAiC und Atmosphärenforscher am AWI. „Es ist faszinierend, wie genau wir einzelne Prozesse abbilden und in Beziehung zueinander setzen können. Es freut mich zu sehen, wie mehrere hundert MOSAiC-Teilnehmende an diesen Publikationen mitgewirkt haben. Die internationale Zusammenarbeit der Expeditionsteilnehmenden aus so vielen Ländern läuft auch nach mehr als einem Jahr sehr produktiv und koordiniert weiter. Auf diese Weise können wir immer mehr wichtige Erkenntnisse über den Klimawandel liefern, die eine Wissensbasis für einen gesellschaftlichen Wandel hin zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Planeten Erde darstellen“, sagt MOSAiC-Leiter Markus Rex.

Hintergrundinformationen zu MOSAiC

Während der MOSAiC-Expedition erforschten Wissenschaftler aus 20 Nationen die Arktis im Jahresverlauf. Von Herbst 2019 bis Herbst 2020 driftete der deutsche Eisbrecher Polarstern dazu eingefroren im Eis durch das Nordpolarmeer. MOSAiC wurde unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) realisiert. Damit dieses einzigartige Projekt gelingen und möglichst wertvolle Daten gewonnen werden konnten, arbeiteten über 80 Institute in einem Forschungskonsortium zusammen. Die Gesamtkosten der Expedition beliefen sich auf rund 150 Millionen Euro, die größtenteils vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wurden.

Original Publikationen:

"Overview of the MOSAiC expedition – Atmosphere. Elementa, Science of the Anthropocene", DOI: 10.1525/elementa.2021.00060.

"Overview of the MOSAiC expedition: Physical oceanography. Elementa: Science of the Anthropocene". DOI: 10.1525/elementa.2021.00062

"Overview of the MOSAiC expedition: Snow and sea ice. Elementa: Science of the Anthropocene". DOI: 10.1525/elementa.2021.000046