Pressemitteilung 2022/227 vom

Moderne Solarzellen arbeiten mit Dünnschichten aus Halbleitern, die Sonnenlicht in elektrische Energie umwandeln. Der Schlüssel, um ihre Effizienz noch weiter zu steigern, liegt in der Zusammensetzung und Struktur des Materials. Dieses kann herstellungsbedingt Defekte aufweisen, die sich störend auswirken. Wissenschaftler:innen von der Universität Leipzig haben jetzt einen Messplatz konzipiert und aufgebaut, mit dem sie Halbleitermaterialien auf atomarer Ebene noch besser auf solche Defekte hin untersuchen können. Die neue Messmöglichkeit kann auch bei der Erforschung von Materialien für andere Anwendungen nützen, beispielsweise LEDs oder in der Telekommunikation.

Am Synchrotron PETRA III des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) in Hamburg steht ab Januar 2023 ein neuer Messaufbau der Nutzergemeinschaft zur Verfügung. Er ermöglicht, elektronische und strukturelle Eigenschaften von Halbleiter-Dünnschichten und anderen Materialien zu untersuchen – und zwar simultan und elementspezifisch. Dies gibt Aufschluss darüber, wie sich strukturelle Defekte auf die elektronischen Eigenschaften des Materials auswirken. Der Messaufbau ist Ergebnis des Forschungsprojekts „Identifizierung von Defekten durch elementspezifische Anregung optischer Lumineszenz“ unter der Leitung von Prof. Dr. Claudia S. Schnohr am Felix-Bloch-Institut für Festkörperphysik der Universität Leipzig.

„Defekte sind Störungen in der Struktur eines Materials, wenn zum Beispiel bestimmte Atome nicht dort im Kristallgitter sitzen, wo sie eigentlich sein sollten“, erläutert Prof. Dr. Claudia Schnohr. „Sie entstehen oft ungewollt bei der Herstellung der Proben. So kann es passieren, dass Fremdatome in die Probe kommen oder dass das Kristallgitter nicht perfekt wächst.“ Häufig gibt es theoretische Vorhersagen zur Natur dieser Defekte, „aber eine experimentelle Bestätigung dieser Vorhersagen ist oft schwierig“, so die Physikerin.

Messaufbau nutzt Effekte hochbrillanter Röntgenstrahlung

Der Messaufbau kombiniert zwei Methoden: die Röntgenabsorptionsspektroskopie (XAS) sowie die röntgenangeregte optische Lumineszenz (XEOL). Die Forschenden machen sich hierzu zwei Effekte zunutze, die simultan auftreten, wenn bestimmte Materialien mit hochbrillanter Röntgenstrahlung angeregt werden, wie PETRA III sie zur Verfügung stellt: Zum einen absorbiert die Probe einen Teil der Röntgenstrahlung. Dies führt dazu, dass das Material auch selbst wieder Röntgenstrahlung aussendet. Sowohl die von der Probe emittierte Strahlung als auch die nicht absorbierte Strahlung, die direkt durch die Probe hindurchgeht, werden gemessen. Daraus, wie stark das Material die Röntgenstrahlung bei verschiedenen Energien – also bei verschiedenen Wellenlängen – absorbiert, kann man Strukturinformationen über das Material ableiten, wie etwa den gegenseitigen Abstand von Atomen im Material. „Das Besondere hierbei ist, dass man dies jeweils auf bestimmte chemische Elemente im Material anwenden kann, auch wenn mehrere Elemente denselben Gitterplatz in der Kristallstruktur besetzen, wie dies bei Dünnschichtsolarzellen oft gewünscht ist“, so Prof. Dr. Claudia Schnohr. „Anders als andere Charakterisierungsmethoden ist die XAS-Methode also element- und dadurch oft auch platzspezifisch“. Dies sei wichtig für die Untersuchung von strukturellen Defekten im Dünnschichtmaterial.

Zum anderen beginnt das Material nach Anregung durch Röntgenstrahlung im sichtbaren oder nahe-ultravioletten Bereich auf spezifische Weise zu leuchten. „Diese Lumineszenz gibt Hinweise auf die elektronischen Eigenschaften des Materials“, so die Professorin. Hierzu hat das Team zusammen mit Dr. Edmund Welter und seinem Team vom DESY eine XEOL-Detektionseinheit aufgebaut, die simultan zur Messung der Röntgenabsorption die jeweilige Lumineszenz-Aktivität der Proben über einen Spektrographen analysiert. „Dort wird dieses Licht in die einzelnen Wellenlängen zerlegt. Verschiedene Defekte werden durch ihre Lumineszenz bei unterschiedlichen Wellenlängen sichtbar“, so Schnohr.

Strukturelle Ursachen für elektronische Defekte finden

Durch die simultane Verbindung der beiden Methoden können die Wissenschaftler:innen daher Informationen über Defekte in der Gitterstruktur mit elektronischen Eigenschaften dieser Defekte in Verbindung setzen. „Im besten Fall können wir sehen, welche strukturellen Ursachen bestimmte elektronische Defekte haben.“

Sind bei Dünnschichtsolarzellen oder auch LEDs Defekte nicht erwünscht, kann dies bei anderen Anwendungen ganz anders sein. Beispiele hierfür sind Leuchtstoffe oder bestimmte optische Materialien, die in einer bestimmten Farbe leuchten sollen. Hier seien gezielte Defekte im Material eine Möglichkeit, den gewünschten Effekt zu erreichen, erläutert Claudia Schnohr.

Drei Halbleitermaterialien im Test

Die Funktionalität und Leistungsfähigkeit des Aufbaus hat die Gruppe anhand von drei Halbleitermaterialien demonstriert: Kupfer-Indium-Diselenid (CulnSe2) ist ein Absorbermaterial für hocheffiziente Dünnschichtsolarzellen. Zinkoxid (ZnO) ist ein transparenter Halbleiter, der unter anderem in Leuchtdioden, Flüssigkristallen oder anderen optoelektronischen Bauelementen eingesetzt wird. Galliumnitrid (GaN) ist ein zentrales Material für blaue Leuchtdioden. Die Proben lieferten die Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Susanne Siebentritt vom Labor für Fotovoltaik der Universität Luxemburg und von Prof. Dr. Marius Grundmann vom Felix-Bloch-Institut für Festkörperphysik der Universität Leipzig, mit denen das Team in diesem Projekt zusammenarbeitet.

„Die Materialien unterscheiden sich einerseits in ihren chemischen Elementen und damit in der für die Untersuchung erforderlichen Energie des Synchrotron-Röntgenstrahls und andererseits in der Wellenlänge des emittierten Lichts“, so Professorin Claudia Schnohr. „Die Untersuchung dieser drei Materialien demonstriert damit die breiten Einsatzmöglichkeiten unseres Aufbaus, auch wenn sich unsere eigene Forschung derzeit auf Dünnschichtsolarzellen konzentriert.“

Nur wenig ähnliche Messmöglichkeiten in Europa

Die neue Messinfrastruktur ist eine von nur wenigen ihrer Art in Europa. Das Vorhaben wurde über drei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen seines Programms „Erforschung von Universum und Materie“ (ErUM) mit einer Summe von rund 570.000 Euro gefördert (Förderkennzeichen 05K19OL1). Den Aufbau und die Demonstration der Funktionalität veröffentlichte die Arbeitsgruppe im „Journal of Synchrotron Radiation“. Der Aufsatz wurde für die Titelseite ausgewählt.

 

Originaltitel der Publikation im „Journal of Synchrotron Radiation“:
High-resolution XEOL spectroscopy setup at the X-ray absorption spectroscopy beamline P65 of PETRA III, doi: 10.1107/S1600577522007287