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Die Fakultät für Physik und Geowissenschaften gibt in tiefer Trauer bekannt, dass am 31. August 2019 Professor Adolf Kühnel im Alter von 83 Jahren verstorben ist.

Geboren wurde er am 13. August 1936 im nördböhmischen Trautenau, welches heute als Trutnov zur Tschechischen Republik gehört und er mit den Eltern 1945 verlassen musste. Die Familie fand eine neue Heimstatt in thüringischen Kahla. Hier schloss er die Grundschule ab und wechselte 1950 an die Grete-Unrein-Oberschule in Jena, wo er 1954 das Abitur ablegte. Ende 1954 nahm Adolf Kühnel an der Friedrich-Schiller-Universität Jena das Studium der Physik und Mathematik auf, wo besonders die Theoretischen Physiker Gerhard Weber, Gerhard Heber und Ernst Schmutzer, der Experimentalphysiker Wilhelm Schütz und der Mathematiker Walter Brödel seine akademischen Lehrer waren. Das Diplom erwarb Kühnel im Februar 1960 mit einer mit dem Fakultätspreis ausgezeichneten Arbeit. Darin fand er eine exakte Lösung für die geladene Punktmasse in der Schmutzer‘schen 5-dimensionalen Variante der Allgemeinen Relativitätstheorie, die als Standardlösung einer Kaluza-Klein-Theorie in die Literatur einging.

Als Heber im Sommer 1960 als Nachfolger Bernhard Kockels an das stark unterbesetzte Theoretisch-Physikalische Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig berufen wurde, folgten ihm zu Beginn des Herbstsemesters Adolf Kühnel mit weiteren vier frisch diplomierten Kommilitonen als Assistenten oder Aspiranten. In der nun folgenden anspornenden Phase der wissenschaftlichen Neuorientierung des Instituts erhielt er die Möglichkeit, mit Jerzy Plebanski aus der Gruppe von Leopold Infeld in Warschau zusammenzuarbeiten. Daraus entsprang seine Dissertation Die Bewegungsgleichungen der Einstein'schen Gravitationstheorie in der Näherung für große Geschwindigkeiten, mit der er am 5. Februar 1963 in Leipzig promoviert wurde. Seit September 1962 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter fest angestellt, nahm Kühnel nun die Arbeit an einem von Heber präferierten nichtstörungstheoretischen Zugang zur Quantenfeldtheorie im Rahmen der funktionalen Integration auf. 1964 und 1965 arbeitete er zusammen mit Heber und Hans-Jürgen Kaiser vom IfH Zeuthen (heute DESY-Zeuthen) am Vereinigten Institut für Kernforschung in Dubna zur Auswertung von Funktionalintegralen für verschiedene Modelle mit stark verkoppelten Feldern, woraus seine Habilitationsschrift hervorging. Am 11. Mai 1966 habilitierte er sich in Leipzig mit der Arbeit Näherungsweise Berechnung der niedrigsten Pole Greenscher Funktionen für einfache Feldmodelle. Im Februar 1967 wurde er zum Dozenten für Theoretische Physik an der Karl-Marx-Universität berufen, zum 1. September 1969 erfolgte seine Berufung zum ordentlichen Professor für Theoretische Physik.

Als Dozent wandte sich Kühnel den Anwendungen der Quantenfeldtheorie auf die Festkörperphysik zu. In seiner 1969 am Institut gegründeten Arbeitsgruppe „Festkörpermagnetismus“ arbeitete er zunächst über die Diagrammtechnik für Green’sche Funktionen in der Theorie des Magnetismus. Zunächst erfolgte die störungstheoretische Behandlung des Heisenberg-Ferromagneten mit Spin ½, teilweise gemeinsam mit dem inzwischen nach Jena gewechselten Eberhard Jäger, dann mit verschiedenen Mitarbeitern für beliebigen Spin. Diese Untersuchungen wurden später weitergeführt, so mit Arbeiten zum Tieftemperaturverhalten und zum Phasenübergang von Heisenberg‘schen Ferromagnetika. In der 1972 im Zuge der Dritten Hochschulreform an der Sektion Physik gegründeten Arbeitsgruppe „Festkörpertheorie“ befasste sich Kühnel dann bald mit der Theorie der Phasenübergänge, wobei vor allem Steffen Trimper und Thomas Nattermann einbezogen waren. Die Beschäftigung mit der Theorie struktureller Phasenübergänge in Ferroelektrika erfolgte teilweise in Zusammenarbeit mit Experimentalphysikern in Leipzig, insbesondere aus der AG „Physik der kondensierten Materie“ von Artur Lösche, und in Halle mit Horst Beige. Die Zusammenarbeit führte schließlich zur Untersuchung von Phasenübergängen im Nichtgleichgewicht. Mehrere Arbeiten, die gemeinsam mit Ulrich Behn entstanden, galten elektrohydro-dynamischen Instabilitäten sowie dem Einfluss stochastischer Felder und des dichotomen Rauschens auf Phasenübergänge in Modellsystemen.

Adolf Kühnel war ein engagierter Hochschullehrer mit einer umfangreichen Lehrtätigkeit. Seine erste Vorlesung hielt er als noch nicht habilitierter Mitarbeiter im Frühjahr 1963 über „Spezielle Probleme der Mechanik“ und ab 1967 las er regelmäßig Hauptvorlesungen zu allen Gebieten der Theoretischen Physik und Spezialvorlesungen zur Quantenfeldtheorie, besonders des Festkörpers; er las zeitweise auch die Theoretische Physik für Meteorologen. Seine Promovierenden hat er stets ermuntert, immer auch neue Richtungen in ihrer Forschungsarbeit aufzugreifen, was sie erfolgreich nutzen und sehr zu schätzen wussten.

An der 1969 gegründeten Sektion Physik war Kühnel 1969 – 1971 als Stellvertreter des Sektionsdirektors für Erziehung, Aus- und Weiterbildung und 1980 – 1985 als Stellvertreter für Forschung tätig. 1989/90 hat Kühnel in der Initiativgruppe zur demokratischen Erneuerung der Universität Leipzig engagiert mitgewirkt. Er war als Mitglied des vom Konzil der Universität erstmals wieder demokratisch gewählten Rektorats von 1991 bis 1994 Prorektor für Forschung und Wissenschaftsentwicklung. Sein selbstloser und hoher persönlicher Einsatz für die Erneuerung und Umstrukturierung der Universität Leipzig wurde 1994 mit der Verleihung der Caspar-Borner-Medaille gewürdigt. Zum 1. Juni 1992 war er nach neuem Recht als Professor für Theorie kondensierter Materie, Strukturbildung auf eine der beiden Eckprofessuren für Theoretische Physik an der Universität Leipzig berufen worden. 1992 bis 1994 war er Mitglied der Kommission Lehre und Studium der Hochschulrektorenkonferenz. Von 1991 bis 2001 war er am wiedergegründeten Institut für Theoretische Physik Leiter der Abteilung „Theorie der kondensierten Materie“, die aus dem vormaligen Wissenschaftsbereich „Festkörpertheorie“ hervorgegangen war, und von 1996 bis 1999 Direktor des Instituts für Theoretische Physik. Nach seiner Versetzung in den Ruhestand 2001 beschäftigte er sich wieder mit der Allgemeinen Relativitätstheorie und mit Kosmologie.

In fachlichen Diskussionen hat sich Kühnel stets zielführend eingebracht, andere Argumente kritisch hinterfragt, sich aber Denkanstößen und neuen Lösungswegen sehr offen gezeigt. Seinen Kolleginnen und Kollegen war er so ein willkommener Gesprächspartner. Es war ihm übrigens ein wichtiges Anliegen, begabte junge Kolleginnen und Kollegen bestmöglich zu fördern. In der Öffentlichkeit und auch im privaten Bereich war er nicht ein Mann der vielen Worte. Dafür legte er stets Wert auf Klarheit und Genauigkeit, auf Gültigkeit seiner Aussagen, und er hatte ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Bemerkenswert war sein Vermögen, Ereignisse und Fakten gut zu erinnern. Im persönlichen Umgang war er zurückhaltend, nie drängte er sich in den Vordergrund. Guten Bekannten war er ein verlässlicher Partner und er pflegte stabile Freundschaften, wobei die bis auf die Studienzeit zurückgehenden jährlichen „Herzogstuhltreffen“ ehemaliger Kommilitonen hervorzuheben sind, die familiären Charakter angenommen haben. Als praktisch veranlagter Mensch war er es gewohnt, im täglichen Leben – wo immer nötig und ihm möglich – selbst Hand anzulegen. Seine kulturellen Interessen waren von der bildenden Kunst bis zur klassischen Musik breit gefächert, in der Tradition verwurzelt, aber immer auch offen für Neues.
Wir verlieren in Adolf Kühnel nicht nur einen hoch geschätzten Kollegen, sondern einen aufrichtigen und treuen Menschen. Er wird in der Erinnerung derer, die ihn kannten, als hochgeachteter Forscher und Hochschullehrer und wahrhaftiger Mensch unvergessen bleiben.

Bodo Geyer, Ulrich Behn und Steffen Trimper